Akzentdiskriminierung oder Akzentismus liegt vor, wenn Menschen eine negative Einstellung gegenüber bestimmten Akzenten entwickeln. Diese Einstellungen sind mit Stereotypen verbunden, d. h. mit vorgefassten Meinungen, die (Gruppen von) Einzelpersonen über andere (Gruppen von) Einzelpersonen haben, u. a. in Bezug auf deren Kompetenz, Bildung und sozialen Status. Diskriminierung aufgrund des Akzents findet immer dann statt, wenn jemand aufgrund seines Akzents kategorisiert und ungerecht beurteilt oder behandelt wird.
Beispiele für Diskriminierung augrund des Akzentes gibt es schon in der Antike, eines der ersten wird im Alten Testament der Bibel erwähnt (Richter, 5-6). In der Auseinandersetzung zwischen den Gileaditern und den Ephraimiten erkannten letztere die Feinde, die versuchten, sich über den Jordan zurückzuziehen, indem sie sie aufforderten, das Wort shibboleth („Strom“) auszusprechen. Die Gileaditer, die nicht in der Lage waren, den Laut „sch“ (/ʃ/) auszusprechen, wurden gefangen genommen und getötet. Seitdem ist „shibboleth“ zu einem Fachbegriff geworden, der ein Wort oder einen Satz bezeichnet, das bzw. der für eine bestimmte Gruppe charakteristisch ist (insbesondere in Bezug auf die Aussprache).
Zu den jüngsten Beispielen für die Verwendung von Shibboleth in Konfliktsituationen gehören das so genannte „Petersilienmassaker“, d. h. die Massentötung von Haitianern durch den dominikanischen Diktator Trujillo im Jahr 1937, und der „Schwarze Juli“, das antitamilische Pogrom zu Beginn des Bürgerkriegs in Sri Lanka im Jahr 1983. Im ersten Fall entschied die Art und Weise, wie die Menschen das spanische Wort für Petersilie aussprachen (entweder mit spanischem oder mit französisch-haitianisch-kreolischem Akzent) über ihr Schicksal. Während des zweiten Krieges wurden Tamilen aufgrund ihrer Aussprache des singhalesischen Wortes baldiya („Eimer“) identifiziert und angegriffen.
Die Diskriminierung aufgrund des Akzents ist viel weiter verbreitet, als wir vielleicht denken. Sie findet jeden Tag und überall statt, über alle Alters- und Gesellschaftsgruppen hinweg und in verschiedenen privaten und öffentlichen Bereichen, mit erheblichen Auswirkungen auf das Leben der Diskriminierten. Untersuchungen in den USA haben gezeigt, dass Vorurteile gegenüber bestimmten ethnischen und regionalen Akzenten bzw. Dialekten zu einem ungleichen Zugang zu Beschäftigung, Wohnraum und Bildung führen können (Massey & Lundy 2001). In einem ähnlichen Zusammenhang wurde herausgefunden, dass Menschen, die in Deutschland mit einem regionalen Dialekt sprechen, im Vergleich zu Menschen, die mit einem normalen deutschen Dialekt sprechen, einen Lohnnachteil von etwa 20 % haben (Grogger et al. 2020).
Diskriminierung aufgrund des Akzentes ist auch in den Medien allgegenwärtig, zum Beispiel in Filmen (Bleienbacher 2012), Videospielen (Ensslin 2010) und sogar in Zeichentrickfilmen für Kleinkinder (Lippi-Green 2012, Ch. 7).
Interessanterweise entwickelt sich die Voreingenommenheit gegenüber dem Akzent bereits in einem sehr frühen Stadium des Lebens, wie eine noch unveröffentlichte Studie (Jeffries et al. 2023) zeigt, in der beschrieben wird, dass Kinder im Alter von fünf Jahren in der Lage sind, zwischen verschiedenen Sprechergruppen zu unterscheiden, und zwar auf der Grundlage ihrer Aussprache von Merkmalen, die mit nördlichen und südlichen Varianten des britischen Englisch assoziiert werden.
Das Bewusstsein für die Diskriminierung aufgrund des Akzents ist noch lückenhaft, aber es nimmt zu. Während beispielsweise in einer britischen Studie aus dem Jahr 2007 nur 3 % der Arbeitgeber den Akzent oder Dialekt als ein Problem der Gleichstellung und der Vielfalt nannten (im Vergleich zu beispielsweise 60 %, die sich auf eine Behinderung bezogen, und 58 %, die sich auf die ethnische Zugehörigkeit/Rasse bezogen), gaben in einer neueren Umfrage sogar 76 % der Arbeitgeber zu, Bewerber aufgrund ihres Akzents zu diskriminieren.
Über Diskriminierung aufgrund des Akzentes in anderen Sprachen als dem Englischen und in anderen Ländern als den USA und dem Vereinigten Königreich gibt es nach wie vor nur wenige Berichte, obwohl sich neuere Studien beispielsweise auf die Einstellung von Lehrer*innen gegenüber der Akzenten von Schüler*innen in Italien konzentriert haben (für einen ausführlichen Blick auf Akzente in Italien und Einstellungen zur Mehrsprachigkeit in Schulen klicken Sie bitte hier).
Es ist wichtig zu beachten, dass die Einstellung zu Akzenten sehr unterschiedlich sein kann und von vielen Faktoren beeinflusst wird. Das Hinterfragen von Stereotypen und die Förderung des Bewusstseins und der Wertschätzung der sprachlichen Vielfalt können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und eine integrativere Haltung gegenüber Akzenten zu fördern.
Mit seinem Schwerpunkt auf Akzentismus in der Bildung will CIRCE die Einstellungen von Lehrern und Schülern in vier verschiedenen Ländern erfassen, das Bewusstsein für sprachliche Diskriminierungspraktiken in Schulen und Universitäten schärfen und eine größere Toleranz gegenüber Akzentvariationen fördern.